Novalis

Es färbte sich die Wiese grün

Und um die Hecken sah ich blühn,

Tagtäglich sah ich neue Kräuter,

Mild war die Luft, der Himmel heiter.

Ich wußte nicht, wie mir geschah,

Und wie das wurde, was ich sah.

Und immer dunkler ward der Wald

Auch bunter Sänger Aufenthalt,

Es drang mir bald auf allen Wegen

Ihr Klang in süßem Duft entgegen.

Ich wußte nicht, wie mir geschah,

Und wie das wurde, was ich sah.

Es quoll und trieb nun überall

Mit Leben, Farben, Duft und Schall,

Sie schienen gern sich zu vereinen,

Daß alles möchte lieblich scheinen.

Ich wußte nicht, wie mir geschah,

Und wie das wurde, was ich sah.

So dacht ich: ist ein Geist erwacht,

Der alles so lebendig macht

Und der mit tausend schönen Waren

Und Blüten sich will offenbaren?

Ich wußte nicht, wie mir geschah,

Und wie das wurde, was ich sah.

Vielleicht beginnt ein neues Reich

Der lockre Staub wird zum Gesträuch

Der Baum nimmt tierische Gebärden

Das Tier soll gar zum Menschen werden.

Ich wußte nicht, wie mir geschah,

Und wie das wurde, was ich sah.

Wie ich so stand und bei mir sann,

Ein mächtger Trieb in mir begann.

Ein freundlich Mädchen kam gegangen

Und nahm mir jeden Sinn gefangen.

Ich wußte nicht, wie mir geschah,

Und wie das wurde, was ich sah.

Sie ging vorbei, ich grüßte sie,

Sie dankte, das vergeß ich nie

Ich mußte ihre Hand erfassen

Und sie schien gern sie mir zu lassen.

Ich wußte nicht, wie mir geschah,

Und wie das wurde, was ich sah.

Uns barg der Wald vor Sonnenschein

Das ist der Frühling fiel mir ein.

Kurzum, ich sah, daß jetzt auf Erden

Die Menschen sollten Götter werden.

Nun wußt ich wohl, wie mir geschah,

Und wie das wurde, was ich sah.

(Geb. 02.05.1772 in Schloss Oberwiederstedt – Gest. 25.03.1801 in Weißenfels

Geboren als Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, studierte Novalis zunächst Jura, später auch Naturwissenschaften und wurde Beamter im Salinen- und Bergbau. Nebenbei betrieb er philosophische Studien und begann, seine Träume schreibend zu sichten.)